[von Luan Elin] Die kalte graue Wand gegenüber von deinem Bett schreit dich förmlich an. Du sitzt regungslos auf der Bettkante. Die dicken Wassertropfen kullern deine Wangen hinunter. Tropf. Der erste Tropfen landet auf dem Boden. 

Tropf.

Das Geräusch füllt den ganzen Raum deiner kleinen Ein-Zimmer-Wohnung. Es hört sich an als würde jemand seinen Kopf auf eine Tischplatte schlagen. Kalt, abgehackt und vor allem hohl.

Tropf.

Der Kühlschrank hinten im Eck gibt nur sein altbekanntes Surren von sich. Tropf. 

Jetzt meldet sich dein leerer Magen. Mühsam schleppst du dich zum anderen Ende des Zimmers und öffnest die Tür des Kühlschranks. Tropf.

Erst blickst du in eine gähnende Leere, doch dann im obersten Fach entdeckst du einen Apfel. Er ist mit einer weißen Samtschicht überzogen. Also zurück ins Bett. Tropf. 

Dein Blick fällt auf den Schreibtisch mit der vielen nicht getanen Arbeit. Die dicken Wassertropfen tropfen immer noch auf den Boden. Du hast es schon aufgegeben sie stoppen zu wollen. Tropf.

Zurück an der Bettkante erblickst du hinter dir nur eine Tränen-Tropf-Spur bis zum Kühlschrank. 

Tropf. Vielleicht hilft Schlaf gegen den stechenden Hungerschmerz. Tropf.

Dein Handyakku hat die letzten Tage auch nicht mehr überlebt, die Stromrechnung kannst du gerade nicht zahlen. So überblickst du das Zimmer mal mehr mal weniger. Heute traut sich die Sonne überhaupt nicht durch das Fenster neben deinem Bett. Tropf. Und der Kühlschrank surrt auch nur durch den Nachbarsstrom. Tropf. Und eigentlich brauchst du ihn doch auch nicht mehr. 

Einkaufen fällt dir zu schwer. Tropf. Rausgehen fällt dir zu schwer. Tropf. Aufstehen fällt dir so unglaublich schwer. Tropf. 

Das letzte Mal draußen in der belebten Welt ist schon einige Tage, vielleicht auch schon Wochen, her. Die Zeit hier drin scheint still zu stehen. Tropf.

An das Tränen-Tropf-Geräusch hast du dich allmählich auch schon gewöhnt. Wie an das Ticken der Uhr über deinem Bett. Tropf.

Allmählich scheinen die Wände immer näher zu kommen. Das Grau umgibt dich. Sie weiß zu streichen war zu teuer und du hattest keine Kraft dazu. Der Putz bröckelt auch schon. 

Und so bröckelt das Erbe deiner Mutter. Tropf. Ihr Bild an der Wand zwischen dem Kühlschrank und der Spüle hängt auch schon etwas schief. Tropf. Auf der Spüle stapelt sich das Geschirr. Der Wasserhahn tropft synchron zu dem Wasser-Salz-Gemisch aus deinen Augen. Der Dichtungsring ist schon lange fällig. Tropf. Tropf.

Mittlerweile liegest du starr auf dem Rücken in deinem Bett. Regungslos. Kannst den Blick von der kalten dunkelgrauen Decke nicht nehmen. 

Das Wasser-Salz-Gemisch jetzt sanft von deinem Kopfkissen aufgefangen. Dafür dröhnt das Ticken der Uhr umso mehr  in deinen Ohren, wie der wummernde Bass auf einer dieser Parties. Tick. Tack. Tick. Tack. Tick. Tack. Tick. Tack. Deine Augen sind angeschwollen und deine Nase läuft ununterbrochen. Tick. Tack. Tick. Tack. 

Deine Zeit rinnt dir durch deine tränenfeuchten Fingern. Tick. Die Tage ziehen an dir vorbei. Tack. Du bist altgeworden, ohne es zu merken. Tick. Das Bild deiner Mutter fällt klirrend zu Boden. Tack.

Und die Uhr hat aufgehört zu schlagen.